Wenn im Herbst die letzten Kartoffeln geerntet wurden, dann hingen auch die Apfelbäume voller reifer Früchte. Da war es auch an der Zeit, die Wurzelsau zu schlachten. So eine Hausschlachtung war ein arbeitsreiches Ereignis. Es wurde zerlegt, gekocht, getrocknet und eingesalzen … nebenbei musste rasch das Blut verarbeitet werden, etwa zu wunderbar würzigen Blutwürsten, die dann mit Schwarte, Kleinfleisch und Speck vermengt gut gewürzt trockneten und reiften, oder auch geräuchert wurden.
Jede Region in Deutschland schwört auf ihre spezielle Zusammensetzung und Würzung. Eine Blut-, Rot- oder Schwarzwurst, wie sie auch heißen mag, gehört zu den Meisterstücken eines guten Metzgers. An der Qualität seiner Blutwürste erkennt man Könner. Auf diese Vielfalt und dieses Können kann das Metzgershandwerk stolz sein. Die Wurstvielfalt in deutschen Landen ist einzigartig – und die Blutwurst ist ein schönes Beispiel dafür.
Die rheinischen und norddeutschen Würste haben nichts mit den Blutwürsten im Süden und Osten der Republik gemein. Die Tote Oma aus der ehemaligen DDR ist eine Grützwurst, die zu Kartoffeln und auch Sauerkraut serviert wird. Der Name lässt schon zurückschrecken. Die Kochblutwürste im Alemannischen und Bayerischen erinnern mich entfernt an tote Mäuse. Sticht man sie an, rinnt eine rote Masse auf den Teller. Diese Würste haben nichts mit den norddeutschen Varianten gemeinsam.
Die Blutwurst wird auch ausgiebig in der Literatur zum Thema. Bohumil Hrabal, der großartige wortgewaltige Erzähler par excellence, beschreibt im ersten Band seiner autobiographischen Trilogie „Das Städtchen am Wasser“ eine Hausschlachtung so eingehend, dass man sie nahezu als Rezept zur Herstellung von Blut- und Leberwürsten nehmen könnte. Bildhaft steht die Hausfrau und der Metzger vor einem, wenn Hrabal beschreibt, wie die Füllung geprüft und die Därme gefüllt wurden: „… endlich streifte er sich die Hände ab, schaufelte mit dem Zeigefinger eine Kostprobe aus dem Graurot, ließ sie auf der Zunge zergehen, blickte verzückt zur Decke, zweifellos ein Moment, in dem er schön war wie ein Dichter, der da deklamierte: Pfeffer, Salz, Ingwer, Thymian, Semmelbrot, Knoblauch, es war das Stoßgebet des Fleischers, …“ – „Und Herr Myclìk griff sich einen der bereitliegenden abgepassten Wurstdärme, die aus dem Dünndarm geschnitten, an einem Ende bereits mit einem Speil verschlossen waren, er öffnete den Darm mit zwei Fingern der Rechten und drückte mit der Linken die Füllung hinein, aus seiner Faust erwuchs eine prächtige Blut- und Leberwurst nach der anderen …“
Wenn dann die Kartoffeln und Äpfel geerntet waren, gab es im Rheinland und in Westfalen ein traditionelles Herbstessen: Himmel un Ääd mit Bloddworscht. Der Himmel und die Erde gaben die Zutaten. Es gibt viele Sorten Kartoffeln, aber hier eignen sich nur mehlig kochende Sorten. Gut sind Bintje und Adretta aus der Lüneburger Heide, besser wären Institut de Beauvais aus der Picardie. Es ist die Königin des Kartoffelschnees; eine alte französische Sorte von 1856. Wen die verschiedenen Kartoffelsorten näher interessieren, kann sich hier informieren. Und es gibt viele Apfelsorten, aber für Himmel und Erde sollte nur der Boskop genommen werden.
Selbstverständlich gibt es ebenso viele Sorten Blutwurst, Rotwurst, roter Presssack und wie sie alle heißen mögen. In der rheinischen Hochburg Köln und Umgebung war es Flönz, was auf den Tisch kam. In Aachen hießen die Blutwürste Oecher Puttes und haben eine längere Tradition, so dass ihre Zusammensetzung und ihr Name geschützt ist. Zwischen all diesen Sorten sind feine Unterschiede. In Westfalen wird die Blutwurst geräuchert, Flönz und Oecher Puttes sind Kochwürste. Früher galt das Gericht als Arme-Leute-Essen, heute ist es ein Klassiker.
Meine Blutwurst habe ich vom Büningshof aus Gescher im westlichen Münsterland. Die Wurst besteht aus Schweinefleisch (Speck und Schwarten), Schweineblut, Senf, Sellerie und Salz und wird im Naturdarm leicht geräuchert. Sie hat eine hervorragende Qualität und übertraf meine Erwartungen. (Bild oben)
Zum Vergleich nahm ich noch eine Blutwurst aus der Konserve von Anne Rozés. Das Rezept für die Blutwurst wurde ihr von dem berühmten Zwei-Sterne-Koch Christian Parra anvertraut. Christian Parra ist der ehemaliger Besitzer des Gasthauses „La Galupe“ in Urt. Es ist eine Blutwurst, die aus dem ganzen Kopf des Schweins hergestellt wird und perfekt gewürzt ist. Sie ist auf den Tischen der großen Küchenchefs und in den schönen Brasseries zu Ehren gekommen!
Berüchtigt ist, dass Christian Parra einen Michelin-Stern in seinem Restaurant hatte und dann, als er die Boudin Noir auf die Speisekarte setzte, seinen zweiten Stern gewann. Sie wird so sehr gelobt, dass sogar Alain Ducasse sie wortwörtlich in seine kulinarische Bibel aufgenommen hat.
Geschmacklich ist sie sehr intensiv, sie besteht unter anderem aus Fleisch, Kopffleisch, Zunge, Blut, Zwiebel, Knoblauch, Pfeffer, Thymian, Petersilie und Piment d‘ Espelette. Insgesamt wesentlich komplexer als die Blutwurst vom Bauernhof.
Blutwurst oder Kartoffeln mit Äpfeln allein machen kein Himmel und Erde. Nur der Vierklang aus Kartoffeln, Zwiebeln, Blutwurst und Äpfeln ist echtes Himmel un Ääd. Dabei kann man variieren, welche Zutaten miteinander gebraten und gekocht, und was alles gestampft wird.
Als Kind war es nicht mein Lieblingsessen, weil die Großmutter darauf bestand, Zwiebeln, Kartoffeln und Äpfel zusammen zu kochen. Das ging vielleicht schneller, aber mir hat es nie geschmeckt. Dann wurde es mir in Bonn erneut serviert. Ich war begeistert und hier mein Rezept für Himmel und Erde. Es braucht folgende Zutaten:
HIMMEL UN ÄÄD
1 kg mehlig kochende Kartoffeln
Salz
4 Zwiebeln
6 EL Sonnenblumenöl oder besser gesottene Butter
50 ml naturtrüber Apfelsaft
1 Lorbeerblatt
2 Zweige Majoran (wahlweise eine Messerspitze getrockneter Majoran)
150 ml Milch
100 ml Schlagsahne
60 g Butter
frisch geriebene Muskatnuss
2 kleine Äpfel, vorzugsweise Boskop
½ Bund Petersilie
schwarzer Pfeffer aus der Mühle
2 fingerdicke Scheiben bratfähige Blutwurst pro Person (oder eine 200 g Dose Boudin Noir von Anne Rozés)
Zubereitung:
Kartoffeln ungeschält in Salzwasser 25–30 Minuten weichkochen. Inzwischen die Zwiebeln halbieren, pellen, achteln und salzen. In einer beschichteten Pfanne in 3 Esslöffel Öl bei mittlerer Hitze und unter gelegentlichem Schwenken 10 Minuten braten. Mit Apfelsaft ablöschen, Lorbeer zugeben, aufkochen und beiseitestellen. Majoran zupfen und unterrühren. Warm stellen.
Kartoffeln abgießen, kurz kalt abschrecken und pellen. Milch, Sahne und 50 g Butter mit einer Prise Muskat aufkochen, Kartoffeln hineingeben und mit dem Kartoffelstampfer oder einem stabilen Schneebesen stückig stampfen. Mit Salz würzen. Zugedeckt warm stellen.
Äpfel ungeschält in Spalten schneiden. 3 Esslöffel Öl mit 10 g Butter in einer Pfanne erhitzen, die Spalten darin hellbraun braten, dabei einmal wenden. Petersilie hacken und mit den geschmorten Zwiebeln zu den Äpfeln geben, durchschwenken. Mit Salz und Pfeffer würzen.
Die Pfanne grob auswischen und wieder erhitzen. Blutwurst häuten und ohne zusätzliches Fett bei hoher Temperatur 1–2 Minuten anbraten. Pfanne probehalber leicht schwenken, wenn die Blutwurstscheiben sich bewegen, vorsichtig wenden und noch 1 Minute braten.
Stampf und Apfel-Zwiebelgemüse mit der Blutwurst auf gewärmten Tellern anrichten und servieren.