„Geh mir doch weg mit englischen Essen. Ich kenne das, ich war schon in London.“
„Mein Sohn, meine Tochter waren schon zum Sprachaufenthalt in einer englischen Familie, dass Essen dort war so mies, das kannst du dir nicht vorstellen.“
Klar, so etwas und noch mehr, habe ich sehr oft hören müssen. Wenn ich dann von der englischen Küche schwärmte, hielten mich die meisten für verrückt.
Dürfen sie. Soeben war ich wieder einmal für ein paar Tage in London und habe wieder einmal das Gegenteil erlebt. Man muss nicht bei Jamie Oliver oder Ottolenghi essen gehen, um begeistert zu sein. Ich war bei Ottolenghi und war alles andere als begeistert. Dazu vielleicht aber später mehr. Ein guter Pub tut es auch. Die guten sind aber selten jene, die in allen Reiseführern angepriesen werden. Falls es mich aber wirklich nach englischer Küche in Perfektion gelüstet, dann gehe ich zu „Simpsons in the Strand“. Leider war hier erst wieder im September der nächste reservierbare Tisch frei, da zur Zeit renoviert wird.
Wenn ich all die „Nichtkenner“ nach dem gefragt habe, was sie gegessen haben, bekam ich solche Antworten: Natürlich „Fish und Chips“. Und ich: „waren die im sagenhaften Zeitungspapier eingepackt?“ „Nee, aber in so einer Tüte, die bedruckt war, wie die Times“. Und schon wusste ich, dieser gute Mensch hat im Leben noch nie „Fish und Chips“ gegessen. Denn das in der Tüte hat ungefähr den gleichen Unterschied wie zwischen einem guten Brathuhn aus der Bresse und Chicken Nuggets aus dem Gasthaus „Zum goldenen M“. Ich will mich jetzt nicht über Fish und Chips auslassen, das habe ich bereits schon einmal getan. Für dieses traditionelle Gericht geht man aber in einen besseren Pub. Dann bekommt man nicht fetttriefenden Kabeljau, sondern köstlichen Schellfisch, fangfrische Scholle oder sogar Rochen oder Heilbutt, der mit einer knusprigen locker-leichten Backteig-Schicht umhüllt und mit handgeschnittenen Chips und Gemüse serviert wird. Und so etwas würde auch nie in eine Tüte passen.
Der Ruf der englischen Küche war aber nicht immer so schlecht: Noch im 19. Jahrhundert stand die cuisine anglaise für eine besonders erlesene, exquisite Kochkunst, für guten Geschmack und eine hohe Esskultur. Als größte Kolonialmacht der Erde hatte England Zugang zu den exotischsten Zutaten, zu außergewöhnlichen Gewürzen und zur Kochkunst der kolonialisierten Länder. Diese exotischen Einflüsse sind heute noch überall spürbar. Sie wurden und werden immer noch als fester Bestandteil der englischen Küche integriert.
Der Niedergang der englischen Küche hatte viele Gründe, auf die ich vielleicht später noch einmal eingehe. Doch jetzt zum Sinn und Zweck, dieser ganzen Einleitung: Ich werde ein ganzes Jahr Rezepte aus der englischen Küche nachkochen und hier verbloggen. Das werden traditionelle Landküchenrezepte sein, Gerichte aus dem Pub, den Cafés und auch aus Restaurants wie zum Beispiel „Simpsons in the Strand“. Wo bekommt man sonst schon schottisches Hochland Moorhuhn serviert.
Ich beginne diese Woche mit einem Klassiker: „Bubble & Squeak“
Bubble and Squeak ist ein traditionelles und weitverbreitetes Gericht, das aus Resten zubereitet wird. Frisch zubereitet ist es aber genau so lecker. Hauptbestandteil sind Kartoffelbrei, angeröstete Kartoffelwürfel und Gemüse. Am besten schmeckt es dann mit Kohl und Wurzelgemüse.
Es wird bereits in den klassischen englischen Kochbüchern des 19. Jahrhunderts erwähnt. So in „A New System of Domestic Cookery“ (1805) von Maria Eliza Rundell und im weitverbreiteten “Mrs. Beeton’s Book of Household Management“ (1861). Das Gericht selbst ist aber sicher noch viel älter. So eine ideale Resteverwertung gab es natürlich nicht nur in England, wie es eben auch die meisten Rezepte in unterschiedlichsten Ländern unter anderem Namen gibt und jedes Einzelne eine regionale Bedeutung beansprucht. Bei mir daheim im Münsterland und im Ruhrgebiet hieß die gleiche Mischung in ganz leichter Abänderung „Stemmelkort“. Unter den vielen Namen gefällt mir der schottische am besten: Rumbledethumps.
Nun, kann man Bubble and Squeak mit den unterschiedlichsten Beilagen anrichten. Traditionell nimmt man dafür Bratenreste von einem „Sunday Roast“. In der neuen englischen Küche findet man des öfteren Kalbsleber und Bacon als Beilage. Das habe ich auch nachgekocht.
Eine Sauce (gravy) ist für Engländer immer wichtig. Diesmal hatte ich mich für eine Madeira-Sauce mit Schalotten entschieden. Nun ist die Madeira-Sauce eine der klassischen französischen braunen Saucen, die mit Madeira-Wein, Pfefferkörnern und einigen anderen wichtigen Zutaten zubereitet werden. Ich habe die Pfefferkörner weggelassen und kurz vor dem Servieren in Butter karamelisierte Schalottenviertel zugegeben.
Hier dann zum Rezept. Wie immer lasse ich wenn möglich die Mengenangaben weg, damit jeder für sich, je nach Personenzahl und Hunger, variieren kann.
Bubble and Squeak
Mehlig kochenden Kartoffeln, gewürfelt
Festkochende Kartoffeln, gewürfelt (1, 5 x 1,5 cm)
Möhren fein gewürfelt
Erbsen
Wirsing oder besser Grünkohl
Sahne
Entenfett
Die festkochenden Kartoffeln habe ich am Vortag gegart. Die mehlig kochenden Kartoffeln in grobe Würfel geschnitten und gekocht.
In der Zwischenzeit die Möhren und Karotten blanchieren.
Die vorgekochten festen Kartoffelwürfel im Entenfett braten, bis sie eine Kruste haben.
Den ganz feingeschnittenen Wirsing in Entenfett braten, bis er leicht Farbe annimmt.
Aus den mehligkochenden Kartoffeln mit etwas Sahne einen Stampf zubereiten und die anderen Zutaten unterheben. Etwas stehen und abkühlen lassen.
Aus der Masse kleine Kuchen formen und in Butterfett aufbraten.
Madeira-Sauce mit Schalotten
Die längs geviertelten Schalotten in Butter braten, bis sie Farbe annehmen. Inzwischen aus Demi Glace eine braune Sauce bereiten und mit Madeira und etwas Worchestershire Sauce abschmecken. Die Schalotten hineingeben und kurz mit ziehen lassen. Abschmecken.
Kalbsleber und Bacon
Den Bacon im Backofen auf Backpapier knusprig braten.
Die Kalbsleber in Butter und etwas Traubenkernöl (andere neutrale Öle sollte auch gehen) braten, so dass sie innen noch rosa ist. Auf jeden Fall erst nach dem Braten salzen!
Alles gefällig anrichten!
Sehr gefällig angerichtet, ja! Und sehr schön geschrieben über die Berichte aus England und über Fish & Chips hast Du. Mitreden dazu kann ich nur wenig, zu Zeitungspapier und Thema ölig, etc., habe aber schon sehr gepflegt diniert in London und Birmingham, und anders als Du mag ich Jamie Oliver und seine Rezepte ;-)
Herzlich, Erich
Naja, der Herr Toettchen kann eigentlich auch nicht mitreden, was Fish & Chips betrifft. Denn bis vor zwei Wochen hatte er dieses Gericht gemäss seiner Aussage noch nie gegessen – weder in Zeitungspapier, noch in Times-Tüten-Papier noch sonst wie…. :-D
Was für ein Gedächtnis: Gerade vor zwei Wochen sagte ich zu der Wilden Henne im Pub „Prince Albert“: „Hier habe ich schon früher eine sehr gute Fish und Chips Mahlzeit serviert bekommen.“
Danke für den Kommentar.
Ich habe die/deine Vermisstmeldung soeben storniert … ;-)
Danke für deine interessanten Ausführungen zu der englischen Küche und Fish & Chips. Auch wenn ich diese „Spezialität“ nie gegessen habe, so habe ich aus meinen Jugendjahren die englische Küche (Dauer: ein Monat) nicht gerade in bester Erinnerung … Zurück in Frankreich (Fähre Plymouth-Roscoff) habe ich mir in Nord-Frankreich erst Mal während drei Tagen den Bauch vollgeschlagen :D
Das Bubble and Squeak mit Kalbsleber und Bacon sieht jedoch sehr attraktiv aus. Danke für die Inspiration.
Ich mag englische Küche auch – da habe ich schon super gut gegessen. Angefangen bei meiner Gastfamilie im Schüleraustausch, die kochte frisch und richtig gut. Samstag gab’s aber auf die Schnelle auch Fish & Chips, in Zeitungspapier, ist also schon lange her. Das mochte ich auch. :-)
Dein Bubble & Squeak sieht super aus!
ich kann nicht mitreden, was die englische küche angeht; ende der neunziger jahre war ich häufiger auf der, pardon , auf den inseln. aber ich hatte entweder als studentin zu wenig geld, um ordentlich essen zu gehen, oder war zu verliebt und das essen war mir egal. das einzige, was mir kulinarisch aus diesen jahren in erinnerung ist, dass austern im irischen winter gang und gebe waren und von grosser köstlichkeit. was ottolenghi angeht : ich kemne nur seine kochbücher und guardin-artikel und find seine art zu kochen schauerhaft: extrem einseitige “ braune“ aromatik mit, unsensible garung, alles bis zum anschlag „umami“, keine zwischentöne. furchtbares durcheinander und riesige laubhaufen auf dem teller, echt nicht mein cup of tea.
Danke nochmals für alle Kommentare. Ja, in England gibt es wunderbare Austern!