Die Berliner Weisse – In der Schneeeule
Es ist nicht das Herz vom Wedding, aber nahezu zentral darin gelegen finden wir den Salon der Schneeeule für Berliner Bierkultur. Der Wedding – einer jener Bezirke Berlins, der weit über seine Grenzen hinaus bekannt ist. „Der Wedding ist im Kommen“ wurde mir gesagt und ergänzt: das sagt man schon seit Jahren. Zugegeben, Cafés und Pop Up Stores reihen sich nicht aneinander – aber Spielhallen und Wettbüros scheinen hier das Geschäft ihres Lebens zu machen und generell wirkt das Gebiet um den Leopoldplatz herum eher bodenständig. Aber genau das ist es, was es hier so spannend macht – der Wedding zwängt sich dir nicht auf oder will beweisen wie verdammt cool er ist, er ist es einfach. Als er noch der Wedding von Zille war, etwas später der „rote Wedding“ wurde, war er rauh und trostlos. Das trifft schon lange nicht mehr zu. Tucholsky schrieb einst: “Die Arbeiter wohnen in einem finsteren Loch , in der Ackerstraße (im tiefsten Wedding) ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder gerade auch aus diesem gekommen. Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.” Der Wedding hat sich gewandelt, aber schick ist er auch nicht geworden.
Hier in der Ofener Staße, links ein Inder, der ayurverdisch, mexikanisch und mediterran kocht, rechts an der Ecke zur Müller Straße ein Libanese, der Falavel anbietet, gegenüber Cafés und Spielsalons. Hier mitten drinnen: die Schneeeule – Salon für Berliner Bierkultur. Das macht neugierig. Hier gibt es „Berliner Weisse“.
Aus den Verkaufsregalen ist sie seit langem verschwunden. Rot oder grün wurde sie getrunken. Ein Schuss Sirup und ein Strohhalm gehörten hinein. Hauptsächlich Touristen versuchten es, fanden es gut, wenig Alkohol, an heißen Tagen erfrischend aber nichts auf Dauer, nichts gegen den Durst – und ganz ehrlich, auch nichts für Zunge und Gaumen. Und das sollte es sein?

„Was gibt es heute vom Fass“, war die erste Frage von meinem Sohn, als wir an der Theke standen. Eine Sorte gibt es immer vom Fass, die anderen aus der Flasche. „Marlene“ floss aus dem Hahn ins typische „Weiße-Glas“. Ein erster Schluck! Oha! Das war allerfeinstes, milchsauer vergorenes Sauerbier. So was kenn ich doch, das gibt es auch in Münster, beim Pinkus Müller. Ein zweiter Schluck: was für eine elegante Säure, da kann der gute alte Pinkus nicht mithalten. Beim Pinkus gab es im Winter Orangenstückchen in Saft in das Bier, im Sommer waren es Erdbeeren. Marlene trinkt man pur, ohne Zusatz, ohne Strohhalm. Das Glas ist leer, ich steh unschlüssig vor dem Flaschenbier, gut gelagert, um einiges älter. Der nächste Versuch ist „Irmgard“ – eine Erleuchtung, was für eine Säure, nein, da kann „Marlene“ nicht mithalten. Ich bin ganz verliebt in Irmgard. Versuch mal „Walter“ sagt mein Sohn.
Das Walter ist mit feinem Waldmeister Aroma durchzogen, zu dem die charakterlichen Grundeigenschaften der Berliner Weisse besonders gut passen. Die Verwendung alter Hefestämme mach es zu einem ganz besonderen Genuss. Die leichten 3,5 % vol. sind ideal, in dieser sehr warmen Sommernacht.

Die ganzen Vornamen, verwirren mich. Aber sie haben natürlich ihre Bedeutung: Marlene erinnert an den großen Star der dreißiger Jahre in Berlin: Marlene Dietrich. Irmgard hat eine feine Note von Ingwer und ist eine Hommage an Irmgard Keun, eine feministische Schriftstellerin, deren Schriften zur Nazizeit verboten waren. Eine Frau mit Ecken und Kanten, genau wie das Bier mit einer guten, tiefen Säure. In Walter dominiert eine Waldmeisternote.
Kurz und gut, ich komme wieder und werde mich weiter durch die Braukunst von Ulrike Genz, Gründerin und Brauerin trinken. Bevor ich es vergesse, diese Berliner Weisse ist wirklich was ganz Besonderes. Sie hat auch den Weg in die Sternegastronomie gefunden.