3 Tage Berlin – ein türkischer Coffee Shop und das Jüdische Museum

Mein Zug nach Berlin sollte zwischen sechs und sieben Uhr am Morgen ankommen. Aber man ist ja sehr häufig verlassen, wenn man sich auf die Deutsche Bahn verlässt. Ich kam übrigens nach einer Odyssee am Nachmittag kurz nach 15 Uhr an.

Vorher hatte ich im Internet gesucht, wo ich nach der „geplanten“ Ankunft frühstücken kann. Ich habe lange Listen durchgeschaut und zu meinem Schrecken festgestellt, dass die Berliner andere Zeitvorstellungen als wir am Bodensee haben. Viele Cafés öffnen um acht und manche auch erst um elf Uhr. Aber das hatte sich ja ohnehin erledigt. Ich würde das mit dem Frühstück nicht erwähnen, weil ich schließlich trotzdem ein gutes, schönes Frühstückserlebnis hatte. Das war aber bereits einen Tag später.

Im Hotel wollte ich nicht frühstücken und da ich ein Frühaufsteher bin, beschloss ich mir etwas von der Stadt anzuschauen. Meine Route führte mich mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof und umgestiegen in den Bus M41 der am Brandenburger Tor, am Reichstag / Bundestag vorbei zum Potsdamer Platz fährt. Weiter geht es zum Halleschen Tor. Ich kann diese Busroute sehr empfehlen, vor allem ganz in der Frühe, wenn noch kein Verkehr herrscht und wenige Fahrgäste den Bus frequentieren.

U-Bahn Hallesches Tor

Später wollte ich ins jüdische Museum, das vom Halleschen Tor aus, gut fußläufig ist. Vorbei ging es am U-Bahnhof Hallesches Tor, der bereits im Februar 1902 benutzt wurde und damit zu den ersten U-Bahnhöfen Berlins gehörte. Es ist auch heute noch ein imposantes Gebäude in einer Stilmischung aus Neorenaissance und Neobarock. Weiter ging es über den Landwehrkanal und den Mehringplatz hinein nach Kreuzberg.  Kreuzberg, das klang in den Sechzigern bis spät in die achtziger Jahre nach Freiheit, Alternativen, Künstlern und Unabhängigkeit. Heute sieht man nicht mehr viel davon. Heute soll hier eine große türkische Gemeinde leben. Bis auf einige Obdachlose, die auf ihrer Matratze in Häuserecken schliefen, sah das Ganze gutbürgerlich aus.

Ein Stück die Friedrichstraße hinab sehe ich vor mir an der Ecke zur Franz-Klühs-Straße einen Bäcker, eigentlich ein kleiner Imbiss: Coffee Corner. Drei, vier Tische vor der Tür sowie auch drinnen. Vor mir eine Theke mit belegten Brötchen. Oh Mann, denke ich, die sehen aber fantastisch aus. Das waren keine Durchschnittsbrötchen aber auch kein fine food, das waren einfach richtig gute Brötchen, die mir Lust machten: Zum Beispiel belegt mit Rührei und Tomate. Daneben süße Stücke, oder wie das immer hier heißen mag. Eins war sofort klar, obwohl das Angebot sehr Deutsch aussah, das war ein türkischer Ladeninhaber. Er stand mit seiner Schwester hinter der Theke, verkaufte Schrippen in der Tüte über die Gasse, goss Tee auf und machte einen hervorragenden Espresso. Ich hatte in der Folge zwei Doppelte davon! Was nun, eines dieser sehr lecker aussehenden Brötchen oder ich frag mal: „Haben Sie auch Menemem?“ Klar, hatte er, wurde frisch gemacht und mit dem Hinweis serviert, dass das Rezept von der Mama sei. Ich habe schon viel Menemem in meinem Leben gegessen, aber dieses gehörte zu den Besten. Es war fruchtig mit einer verhaltenen Schärfe. Frische Tomaten, Zwiebeln die nicht mehr ganz glasig waren, aber noch Biss hatten und dazu die Eimasse, geschmeidig, nicht trocken.

Während ich da so saß, Wortfetzen von den Nachbartischen mit bekam.“ Wie hoch ist denn Deine Rente, glaubst Du das Hertha es noch mal schafft? ….“ und in der Morgensonne auf die ruhige Straße schaute, kam ein – wie sag ich es jetzt? – Obdachloser? Penner? Bettler? Auf jeden Fall er kam in den Laden, suchte umständlich nach Münzen, die er wohl nicht hatte und bekam vom Inhaber dieses Coffee Shop, mit den Worten: „Lass mal stecken“, ein belegtes Brötchen.  Das wiederholte sich noch zweimal, während ich dort saß. Von den Dreien, die ich so erlebte, war eine eine Schnorrerin. Schnorren ist die höhere Kunst des Bettelns, dazu gehört eine Geschichte, eine Geschichte die man parat hat, eine Geschichte, die sagt, dass man kein Bettler ist, nur gerade so verlegen, dass das nötige Kleingeld fehlt. Sie wollte dem Inhaber der Bäckerei alte Zeitungen verkaufen, der wollte keine, aber das Brötchen bekam sie trotzdem.

Das gefiel mir. Menschen mit einem so großem Herzen, so gutem Espresso und so gutem Menemem, müsste es häufiger geben. Übrigens, ich habe der Schnorrerin eine Zeitung abgekauft. Es macht nichts, das sie alt war, steht ja in der Regel sowieso nichts Neues drin. Und sie strahlte, drehte sich um und holte süße Stücke, für einen guten Wochenendanfang.

Zum jüdischen Museum war es jetzt nicht mehr weit. Quasi nur noch ums Eck und man sah es. Ein unglaublich anmutendes Gebäude, das vom amerikanischen Architekten Daniel Libeskind entworfen und realisiert wurde.

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Dieses Museum führt Besucher auf die Spuren jüdischer Identität in einer zeitgenössischen Architektur. Entstanden ist ein Zick-Zack-Bau aus Titanzink, unterirdische Achsen, schiefe Wände und unklimatisierte Betonschächte. Mit diesem Bauwerk visualisiert Libeskind deutsch-jüdische Geschichte. Das Gebäude lässt viele Interpretationen zu: Manche erinnert es an einen zerbrochenen Davidstern, andere an einen Blitz; bei vielen hinterlässt es ein Gefühl der Verunsicherung oder Desorientierung.

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„Der offizielle Name des Projekts lautet ‚Jüdisches Museum‘, aber ich habe es ‚Between the Lines‘ genannt, weil es sich für mich dabei um zwei Linien, zwei Strömungen des Denkens, der Organisation und Beziehungen handelt.“ (Daniel Libeskind)

Den Grundriss entwickelte Daniel Libeskind aus zwei Linien: der sichtbaren Zick-Zack-Linie des Gebäudes und einer unsichtbaren geraden Linie. An den Kreuzungs­punkten liegen Leerräume, die das Gebäude vom Unter­geschoss bis zum Dach durchziehen. Die sich kreuzenden und schräg verlaufenden Fenster wirken unsystematisch und lassen von außen keine Geschoss­gliederung erkennen.

Für die Verbindung zwischen jüdischer Tradition und deutscher Kultur vor der Schoa stehen jüdische und nicht-jüdische Berliner Persönlich­keiten wie Paul Celan, Max Liebermann, Heinrich von Kleist, Rahel Varnhagen oder Friedrich Hegel. Aus deren Adressen entstand ein Liniennetz, aus dem Libeskind die Struktur des Gebäudes und der Fenster entwickelte.

Das Museum hat bei mir tiefe Empfindungen hinterlassen, die noch nachwirken.

Da dies ein Food Blog ist, gehört zum Museumsbesuch auch die Vorfreude auf ein Essen in dem angeschlossenem Café. Neben traditionellen Speisen aus der jüdischen und israelischen Küche wie gefüllte Weinblätter, herzhaftem Hummus und Baba Ghanoush gibt es auch Leckereien aus der ganzen Welt, sagt die Speisekarte im Internet. Tief im Herzen hoffte ich, dass es „Latkes“ gibt. Leider entsprach das Angebot an diesem Tag nicht meinen Vorstellungen, aber dafür hatte ich ja bereits vorher ein köstliches Menemem bekommen, welches in der jüdischen Küche den nahen Verwandten „Shakshuka“ hat. Doch die Latkes gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Kaum war ich von der Reise zurückgekehrt, habe ich sie mir daheim zubereitet.

An Chanukka werden in Öl gebratene Latkes zum Gedenken an das Öl gegessen, das auf wundersame Weise acht Tage lang brannte, als die Makkabäer den Heiligen Tempel in Jerusalem reinigten und neu einweihten. 

Am besten verwendet man für die Herstellung  klassischer Kartoffellatkes – auf Hebräisch auch als Levivot bekannt – eine Küchenmaschine, die die Zubereitung um Einiges vereinfacht. Wer keine Küchenmaschine hat, kann natürlich auch den Weg der alten Schule gehen und eine Kistenreibe für die Zwiebeln und Kartoffeln verwenden. 

Latkes eignen sich wunderbar als Beilage und als Vorspeise. Man kann sie mit allerlei Beilagen servieren. Ich persönlich mag sie am liebsten einfach mit Apfelmus.

Zutaten:
1 – 1,5 kg   Kartoffeln (am besten mehlig kochende)
2 Zwiebeln, geschält
3 große Eier, leicht geschlagen
1 Teelöffel Salz
1/4 Teelöffel frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
1/4 bis 3/4 Tasse Mehl
Öl zum Braten
Apfelmus oder saure Sahne zum Garnieren

Zubereitung:
Einen Teller mit Papiertüchern auslegen und beiseite stellen. Darauf werden später die Latkes entfettet.

Die Kartoffeln und Zwiebeln schälen und etwas zerkleinert in eine Küchenmaschine geben , die mit einer Messerklinge (auch als S-Klinge bekannt) ausgestattet ist. Pulsieren, bis ein glatter Teig entstanden ist. Diesen Teig gut abtropfen lassen, eventuell in einem Passiertuch ausdrücken.

Die Kartoffelmischung in eine große Schüssel geben. Die  geschlagenen Eier, Salz und Pfeffer hinzu geben und alles gut mischen.

So viel Mehl zugeben, dass die Masse eine Bindung erhält.

Das Öl in einer Bratpfanne erhitzen, etwas von  der Kartoffelmischung vorsichtig in das heiße Öl geben. Den Pfannkuchen ein wenig flach drücken. Man kann natürlich einige Pfannkuchen gleichzeitig backen, sollte aber darauf achten, die Pfanne nicht zu voll zu machen. 

Einige Minuten auf jeder Seite braten, bis sie goldbraun und durchgegart sind. 

Zum Abtropfen auf die mit Küchenpapier ausgelegte Platte geben und den restlichen Latkes-Teig portionsweise weiterbraten. Auf Wunsch sofort mit Apfelmus oder  Sauerrahm servieren. 

Natürlich sind Latkes keine jüdische Spezialität, sondern vor allem in Osten Europas und auch in Deutschland weit verbreitet. Möchte man ihnen einen israelische Touch verleihen, serviert man sie mit Labneh (das ist Joghurt). Den Joghurt lässt man über Nacht in einem Passiertuch abtropfen – am nächsten Morgen hat man mit einer Prise Salz und ein Schuss Olivenöl  Labneh.


Der Tag endete mit einem Besuch im Kochbuchantiquariat, das ich nicht unerwähnt lassen will. Die Bibliotheca Culinaria findet man in der Zehdenicker Str. 16, 10119 Berlin. Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der Kochbücher wie Romane liest. Diesen wundervollen Laden muss man als Food Blogger besuchen. Über den Besuch in der Bibliotheca Culinaria und das Abendessen in einem Rahmen Restaurant schreibe ich einmal später.

Die Heimfahrt am nächsten Tag verlief fast ohne Komplikationen. Kaum Verspätung, trotz eines großen Umwegs und einem Speisewagen in der 1. Klasse, der nur Tomaten- oder Linsensuppe anbieten konnte.

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