Seit wenigen Tagen bin ich nach langer Zeit in einer Klinik wieder daheim und habe mir vorgenommen, wieder regelmäßig zu bloggen. Beginnen möchte ich mit einem kulinarischen Erlebnis der besonderen Art.
Am östlichen Rand des Südschwarzwaldes, liegt die Baar, eine Hochebene zwischen dem südlichen Schwarzwald und der schwäbischen Alb. Dort fließen die Quellflüsse Brigach und Breg zusammen, aus denen der mächtigste Strom Europas hervorgeht: die Donau.
Hier habe ich nun eine längere Zeit in Kliniken zugebracht, und konnte diese nur für sehr kurze Ausflüge verlassen. So habe ich einige Städte und Dörfer kennen lernen dürfen.
Immer wieder hörte ich, dass ich unbedingt das Gasthaus „Löwen“ im Brigachtal in der Gemeinde Kirchdorf besuchen müsse. Unter den Einheimischen ist es weit bekannt für seine deutsche Küche. Die Geschichte des Gasthaus Löwen reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Aber es dürfte wahrscheinlich noch älter sein. Die daneben liegende Kirche wird bereits um 800 in den Annalen des Klosters St. Gallen erwähn. Dazu gibt es den Hinweis, dass zur Kirche ein Kehlhof und eine Poststation gehörten, wo die Pferde gewechselt wurden. Seit der fünften Generation befindet sich der Löwen nun im Familienbesitz der Familie Bertsche. Schon von außen ist es ein imposantes Gebäude. Nach einer Renovation ist es erst vor Kurzem wieder eröffnet worden. Es hat nichts von seinem Charme verloren.
Erstaunt über die Qualität der Grundzutaten, lachte der Koch und erklärte, dass ihre Produkte von Erzeugern aus der näheren Umgebung stammen und er genau weiß, was er bekommt. Regionalität ist angesagt und wird optimal umgesetzt.
Zweimal habe ich das Gasthaus besucht. Das erste mal präsentierte Rainer Bertsche eine Herbstkarte. Das Hirschcarpaccio ist sehr empfehlenswert. Doch der zweite Besuch war zu einem besonderen Termin: Es gibt eine Schlachtplatte.
Schlachtplatte, das ist deftige Heimat. Schlachtplatten haben auf der Baar Tradition. Wenn die kältere Jahreszeit kommt, wird geschlachtet. Erstens haben die Schweine ihr Schlachtgewicht erreicht und zweitens muss Platz geschaffen werden für die neue Aufzucht. Hinzu kommt, dass das kalte Wetter die Haltbarkeit der Würste und sonstigen Produkte in der Frische unterstützten.
Ganz in der Frühe beginnt das Schlachten. Dafür kommt der Metzger ins Haus. Das Werkzeug und die Gewürze bringt er mit. Und damit ist er im besonderen Masse für den Geschmack der Würste zuständig. Es ist keine leichte Arbeit und mancher Hausbrand wird dazu getrunken. Aber man muss aufpassen. Denn wie heißt es schon im Gedicht? „..mit Korn den Metzger bläue nicht, damit er in der Dunkelheit den Finger nicht ins Hackfleisch schneid…“
Bald siedet das Kesselfleisch im heißen Wasser und kurz darauf beginnt das Warmwursten. Das Besondere am frisch geschlachteten Schwein ist, dass das Fleisch immer noch leicht warm ist: Optimale Voraussetzungen für eine gute Wurst, denn das im warmen Muskelfleisch vorkommende natürliche Phosphat muss dann nicht extra zugegeben werden. Reichlich Gewürze aber kommen trotzdem rein. Und die Wurstmasse wird bald in Naturdärme gefüllt. Für die Schlachtplatte legt der Metzger die frische Leber und die Bäckchen beiseite und gibt die Zunge mit in den Wurstkessel.
Zu einem Schlachtessen geht man nicht alleine. Wir waren zu Dritt. Jeder von uns kannte die für jede Landschaft eigene, typische Schlachtplatten aus seiner Heimat Somit hatte jeder eine andere Vorstellung von solch einem Essen. Diese Vorstellungen gingen recht weit auseinander. Während ich mich an Schlachttage aus meiner Kindheit in Westfalen erinnerte, schwärmten meine Freunde von Schlachtgenüssen aus Bosnien & Herzegowina. Ich lerne, dass dort die frischen großen Grieben mit Hausbrot ein besonderer Bestandteil waren. Voll Erwartungen kamen wir im „Leuen“ an und glücklich haben wir ihn verlassen. Anders kann man das nicht beschreiben. Ich habe ja schon viele Schlachtplatten probiert, vor allem im Bodenseeraum. Und jedes mal sehnte ich mich nach den Schlachttagen ins Münsterland zurück – obwohl, die Platten im Süden Deutschlands waren auch gut.
Zum Auftakt gab es eine Metzelsuppe – woanders auch Wurstsuppe genannt. Das war bereits die Grundlage für ein andauerndes Glücksgefühl. Danach gab es das frische Fleisch: Leberwürste, Bratwürste und Blutwürste von feinster Qualität. Wellfleisch, so heißt hier das gekochte Bauchfleisch, gehörten dazu. In anderen Gaststätten wäre man in der Regel auch schon am Ende der Herrlichkeiten. So nicht im Löwen in Kirchdorf im Brigachtal. Leber, ganz sanft geschmort in einer leckeren Sauce, Schweinsbäckle, ebenfalls geschmort, Geräuchertes und die Zunge vom Schwein, hauchdünn aufgeschnitten, wie es sein muss. Als Beilagen hatte man die Wahl zwischen Röstkartoffeln, Spätzle, Püree, Erbsbrei und Sauerkraut. Das Sauerkraut hatte einen betörenden weinigen, milden Geschmack, wie man es selten findet.
Zu meinem Glück wird sich das Schlachtessen in den nächsten Wochen wiederholen. Jetzt bin ich nach langer Zeit wieder daheim, aber eine Stunde Anfahrt wird nicht zu weit sein. Ein Wort zum Preis? Beschämend niedrig! Heute erlebte ich Landhausgastronomie auf höchstem Niveau.