Am 12. Januar 2008, 7 Uhr 51, zur Stunde der morgendlichen Rushhour, begann der 40 Jahre alte Geiger Joshua Bell als Straßenmusiker verkleidet in einer zugigen Metro-Passage Washingtons, der Station L’Enfant Plaza, zu spielen. Und die dieses Experiment durchführende Washington Post berichtete darüber in einer großen Reportage. Bell war von seinem Hotel zur wenige Meter entfernten Metro aus einem einzigen Grund mit dem Taxi gefahren: wegen der Millionen Dollar teuren Stradivari, die Fritz Kreisler einst in der ganzen Welt gespielt hatte.
Er spielte die Chaconne in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Erst nach drei Minuten seines Bach-Spiels passierte überhaupt etwas Auffallendes. Genau 63 Menschen waren musiktaub an ihm vorüber geeilt, ehe jemand ein paar Münzen in den Kasten zu Füßen des Geigers warf. Nur sehr wenige ließen sich zum Stehenbleiben und Zuhören verleiten, gaben Kleingeld. Am Ende, nach 43 Minuten “Konzert”, waren an dem Gebrauchsmusiker 1070 Leute vorüber gelaufen, die ihn insgesamt um 32,17 Dollar reicher gemacht hatten.
Wenige Tage zuvor war er frenetisch von der Presse und vom Publikum gefeiert worden. Diese Zuhörer wussten um das wertvolle Instrument und um den Interpreten.
So geht es uns doch oft im Alltag, wir erkenne die wahren Schätze nicht, wenn wir nicht mit der Nase darauf gestoßen werden. Und das will ich heute auch machen. Meist verkannt und wenig geschätzt, außer von einigen Kennern geliebt, ist das Ochsenmaul. Ein Salat daraus ist eine typisch badische Spezialität und eine sehr kalorienarme Mahlzeit.
Hoppla, stimmt das? Eines stimmt sicher, er ist sehr kalorienarm. Man darf das Gelatinöse nicht mit Fett verwechseln.
Badener sagen, das ist typisch badisch. Den gleichen Anspruch erheben die Franken, Schweizer und Schwaben. Wahrscheinlich sind es noch viel mehr Landschaften, die diesen wunderbaren Salat als typisches regionales Gericht beanspruchen. Da die Fleischzutat für das Gericht relativ preiswert war, zählte es auch in Arbeiterfamilien zu einer beliebten Mahlzeit und fand schnelle Verbreitung. In Nürnberg warb ein Produzent um die Jahrhundertwende für seinen Ochsenmaulsalat folgendermaßen: “Wer von den Herren Gastwirten Friedrich Heydolph´s echten Nürnberger Ochsenmaulsalat in seinem Restaurant noch nicht eingeführt hat, der mache gefl. Einen Versuch damit, da diese Nürnberger Spezialität eine ebenso beliebte, als pikante Zuspeise zu Bier und Wein ist. (…) Bei größerer Abnahme billigere Preise. Versandt franko nach allen Ländern. – Neunmal mit höchsten Auszeichnungen prämiert, zuletzt Paris, April 1903. Goldene Medaille und Ehrenkreuz. Für ein 10 Pfund-Fässchen verlangte Heydolph 3,50 Mark, eine zwei Pfund-Blechdose kostete eine Mark.”
Die Zubereitung ist verhältnismäßig einfach. Das Ochsenmaul wird gekocht, entbeint und gehäutet. Nach dem Abkühlen schneidet man das Fleisch in feine Streifen. Alternativ kann es auch gewürfelt werden. Bei der Marinade richtet man sich am Besten nach dem eigenen Geschmack.
Ich bereite ihn im Wesentlichen nach einem Rezept von Vicent Klink zu:
200 g sauer eingelegtes Ochsenmaul in dünnen Scheiben mit kaltem Wasser abwaschen und in eine Schüssel geben. Ich kaufe das Ochsenmaul naturbelassen und lege es über Nacht in eine Mischung aus 80% badischen Riesling und 20% Essig ein. Eine Tomate ohne den Stielansatz fein würfeln. Die Tomatenwürfel mit 1 Prise Salz, 1/2 TL grob gemahlenem Pfeffer, 1 TL grob gemahlenem Koriander, 1 – 2 EL deutschem Balsamico aus badischen Weinen von Theo dem Essigbrauer, 1 TL Ahornsirup, 2 EL Sahne, und 2 EL Olivenöl verrühren. Jetzt sollte der Salat 1 Stunde ruhen.
1 Bund Rucola waschen, trocken schütteln und die Blätter fein schneiden. Die Frühlingszwiebeln waschen, putzen und mit dem Grün fein schneiden. Portulakblättchen putzen und diese drei Zutaten unter den marinierten Salat mischen und nochmals mit Salz, Pfeffer und Balsamico abschmecken.
Die vorgekochten, gepellten Kartoffeln in feine Scheiben schneiden und in heißem Butterschmalz bei starker Hitze schwenken, bis sie Farbe angenommen haben. Dann eine in feine Würfel geschnittene Zwiebel dazugeben und so lange schwenken, bis alles braun ist. Jetzt noch die Kartoffeln mit Salz, Pfeffer und Majoran würzen und zum Ochsenmaulsalat servieren.
Zum Dessert gab es Appenzeller Birnbrot mit rässem Appenzeller Käse und höhlengereiften Greyerzer. Klein, aber fein!
Du rennst bei mir offene Türen ein. Und dazu Bratkartoffeln oder Rösti – ein Gericht/Gedicht für Kenner !
Einzig, dass ich mir bis dahin nie die Mühe gemacht habe das Ochsenmaul selbst zu kochen. So richtig sauer muss mein Salat sein. Beim Dessert wäre für mich noch zwei Röllchen frische Butter mit dabei!
Als ich diesen Beitrag schrieb, sagte ich mir, das wäre etwas fürs Basler Dybli. Nächstes mal gebe ich mehr Essig zum Wein, vielleicht halbehalbe. Das mit der Butter ist auch richtig, aber zur Zeit bin ich auf Diät.
Meine Mutter ass früher gerne Ochsenmaulsalat, den sie oft mit anderen Salaten oder Bratkartoffeln servierte. Ich meine, ihn damals auch gemocht zu haben. Aber das ist über 25 Jahre her, vielleicht wäre ein kleines Revival ganz angebracht. Danke für die Erinnerungsspritze.
Die alten Rezepte und Gerichte sind, auch wenn sie oft in Vergessenheit geraten sind, ein Genuss. Versuch es, vielleicht magst Du es ebenso gerne wie ich.
Bald ist wieder Abholtag bei meinem Rinderbauern. Mal schauen, was er sagt, wenn ich versuche Ochsenmaul zu bestellen. Wahrscheinlich steh ich dann vor einem Stück Fleisch, das mir die Augen rausquellen lässt und ich stehe ratlos davor. :D
Das beste ist, Du lässt deinen Rinderbauer das Fleisch vorher pökeln und fein aufschneiden. So ein Ochsenmaul am Stück trau ich mir nicht zu.
Schöne Sonntagsgrüße vom Bodensee.
Ich habe beim Lesen auch gedacht, es sei eigentlich eine CH-Spezialität :-)
Auf diesem Niveau (Riesling und so) ass ich Ochsenmaulsalat allerdings noch nie. Wenn ich es nicht vergesse, werde ich bei unserem nächsten Urlaub in Europa in der Ferienwohnung den Salat nach Deiner Anleitung zubereiten. Passt super zum Sommer, würde auch hier super passen, es gibt aber nur Schweinemaul, eigentlich -kopf, mit Schnörrli, Ohren, etc.
Gruss aus TH, Erich
Schade, dass es bei Euch kein Ochsenmaul zu kaufen gibt. So ein Schweinekopf hat aber auch sein Gutes. Ich mache daraus Sülze.
Herzliche Grüsse
Gerd
Das klingt spannend. Gehört habe ich vom Ochsenmaulsalat noch nie (und gesehen habe ich natürlich auch noch keins, dass nicht mehr lebte). Aber ich werde Ausschau halten, jetzt, wo ich wieder kochen kann. :-)
Liebe Grüße,
Eva
Ich wünsch Dir viele schöne Stunden mit Deinem neuen Herd.
Liebe Grüße Gerd
Bei dieser Diät bin ich dabei.
Selbst wenn mir das Fleischgericht nicht auf Anhieb zusagt, probieren würde ich’s und mich zu gern eines besseren belehren lassen.
Und zum Dessert muss ich nichts sagen, oder…hmmmm.
Freundliche grüße ich, Ute
Das Ochsenmaul wird leider oft verkannt. Ich sage nur: Lecker!
Herzliche Grüße Gerd
ochsenmaulsalat ist was ganz feines und mir im sommer meist lieber als wurstsalat. ab und an richte ich ihn auch nach art von hans haas kalbskopf an-ich erwärme einen grossen flachen teller, belege ihn mit dünnen ochsenmaulscheibchen und gebe obendrüber ein concasse reifer aromatischer tomaten. darauf dann groben schwarzen pfeffer, ev noch ein bisschen zwiebellauch , frischen majoram oder basilikum und ein guss fruchtigen öls. durch die wärme des tellers schmilzt das gelatinöse ein bisschen, darauf dann als kontrast die kühlen tomatenwürferln. als beilage geht bestimmt auch beot oder bratkartoffeln, ich mag lieber einen schönen riesling.
Liebe Dunja,
das hört sich ganz phantastisch an. Das werde ich auf jeden Fall ausprobieren. Das mit dem warmen Teller ist eine ausgezeichnete Idee, die muss man ausprobieren.
Danke für die Ergänzung. Liebe Grüße
Gerd