Mahlzeit oder was will eigentlich das MHD?

Mahlzeit
Von MICHAEL HERL
Dieser aus der Frankfurter Rundschau vom Dienstag 03. Juni 2014 erfreute mein Herz. So möchte ich ihn weitergeben.

Die Wurst roch köstlich, sie war ja auch von meinem Lieblingsmetzger, der vor acht Jahren verstorben ist.
Eigentlich hat sich diese Methode ja seit Jahrtausenden bewährt. Sieht ein Nahrungsmittel gut aus und stinkt es nicht, kann man es essen. Ausgenommen einige Käsesorten, die müssen müffeln, um zu schmecken. Seit dem 22. Dezember 1981 aber will uns die Industrie vorschreiben, was genießbar ist und was nicht. „Mindesthaltbarkeitsdatum“ oder „MHD“ nennt sich das. Es ist ein Schwachsinn. Denn generell ist es ja erst mal so, dass das allermeiste, was bei Discountern herumliegt, von vorneherein nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist, MHD hin oder MHD her. Deswegen gehe ich auch nicht containern, also nachts die Tonnen der Märkte leerräumen. Wenn was Gescheites drin wäre, würde ich das durchaus tun, denn ich schere mich auch sonst nicht um ein MHD. Es wurde entwickelt, um den Warenumschlag zu beschleunigen, also den Gewinn zu maximieren. Das ist der einzige Grund.
Vergangenen Donnerstag allerdings war ich selbst ein wenig erstaunt. Hinterhältig und ohne mich darauf hinzuweisen, hatte man mal wieder einen Feiertag ausgerufen, verbunden mit geschlossenen Läden. Ein Gasthaus aufzusuchen, war ich zu träge, also forschte ich daheim nach Essbarem. Ich stieß auf eine Dose Pfälzer Leberwurst, MHD September 2001, und eine Dose Pfälzer Blutwurst mit MHD März 2004. Ich setzte einen Topf Pellkartoffeln auf und öffnete die Dosen.
Die Wurst roch köstlich, sie war ja auch von meinem Lieblingsmetzger, der vor acht Jahren verstorben ist. Während die Kartoffeln brodelten, entsann ich mich der fünf Büchsen Ölsardinen, die ich im Herbst 1986 in Portugal gekauft und sorgsam eingelagert hatte. Altmeister Wolfram Siebeck nämlich hatte mal gesagt, gute Ölsardinen hielten sich nahezu ewig und würden immer schmackhafter. Außerdem dachte ich mir: Wenn du nun schon ins Spital einfährst, machst du es dem Internisten so schwer wie möglich, die Art deiner Vergiftung zu ergründen. Der Brei aus Fisch, Blut und Leber, den er aus deinem Magen pumpt, wird ihn vor eine sportliche Herausforderung stellen. Ich öffnete also eine Dose Sardinen. Allein das war übrigens schon etwas Sakrales, denn es handelte sich noch um eine der schönen, deren Deckel man mittels eines beigelegten Schlitzspatels aufdrehen muss (das Wort Schlitzspatel habe ich eben erfunden, könnte aber passen, oder?). Egal. Sie wissen, was gemeint ist.
Als die Kartoffeln gar waren, zündete ich ein Kerzlein an, tischte auf und entkorkte eine Flasche Pfälzer Riesling. Es war feierlich. Ich träufelte sorgsam Zitronensaft auf die Sardinen, verspeiste sie genüsslich und gedachte des portugiesischen Fischers, der sie irgendwann Anfang der achtziger Jahre aus dem Atlantik geholt hatte. Und wahrlich, Gräten verschwinden nach Jahrzehnten fast gänzlich. Siebeck hatte mal wieder recht. Dann löste ich sanft die Blutwurst und die Leberwurst aus den Dosen, stieß auf den toten Metzger an und begann zu speisen. Welch Wonne, wenn das Wurstfett auf den heißen Kartoffeln schmilzt …
Wie die Geschichte endete? Nun, nach getanem Mahl kam noch eine Flasche Pfälzer Tresterschnaps ins Spiel, und der Abend wurde immer schöner. Heute ist Montag, ich sitze hier, schreibe und erfreue mich bester Gesundheit. Und, noch weitere Fragen zum Thema MHD?

Michael Herl ist Autor und Theatermacher.

Dieser Beitrag wurde unter Rezepte veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

13 Antworten zu Mahlzeit oder was will eigentlich das MHD?

  1. Tanno sagt:

    Genau so ist es, lieber Gerd! Leider ist mein Mann auch so ein MHD-Fetischist und würde so manches ungeprüft wegwerfen… aber so oft ist er ja nicht in der Küche.
    Da fällt mir ein… Dosenwurst aus meiner niedersächsischen Heimat habe ich auch noch im Vorrat… bestimmt schon über MHD… aber bestimmt auch immer noch saulecker!
    Bei Salz soll es jetzt abgeschafft werden. Wie sagt Herr Lichter immer: millionen Jahre altes Salz, haltbar bis 2015 ;o)

    Dickes Drückerle und ein schönes Pfingstwochenende wünscht Dir
    Tanni

    • admin sagt:

      @ Tanno
      @ Eva
      @ Frau A. vom Bodensee
      @ Cooketteria

      … und wir alle, wie auch viele andere Menschen haben die gleich Erfahrung gemacht: die MHD sind so nützlich wie ein Kropf.
      Allen eine schöne Pfingsten und liebe Grüße
      Toettchen

  2. Eva sagt:

    Freude am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen – danke!
    Ich habe kürzlich eine geschlossen Packung Quark verbacken, die seit einem halben Jahr „abgelaufen“ war. :-)
    Liebe Grüße,
    Eva

  3. lieberlecker sagt:

    Dem ist wahrlich nicht viel hinzuzufügen, weshalb ich einfach mein Glas zum Prosten hebe und Euch schöne Pfingsten wünsche.
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

  4. Frau A. vom Bodensee sagt:

    So ist es!! Habe kürzlich ein Naturejoghurt MHD Nov 2013 verspeist und es geht mir bestens. Wir haben verlernt unserem Geschmack zu vertrauen. Die sterilisierten Konserven im Keller meiner Mutter hatten auch kein Haltbarkeitsdatum.
    Liebe Grüsse
    Frau A. vom Bodensee

    PS: Inzwischen habe ich mitbekommen, dass du auch am Bodensee wohnst. Dar ich fragen wo genau?

  5. Cooketteria sagt:

    Bei der Menge, die ich an „abgelaufenen“ Lebensmitteln und Getränken zu mir nehme, könnte es sein, dass ich seit Jahren tot bin und es einfach noch nicht mitbekommen habe…. ;-)

    MHDaten sind Empfehlungen, mehr aber auch nicht. Wenn’s nicht mehr schmeckt, dann isses auch nicht mehr gut. Für was haben wir den schliesslich Augen, Nasen und Geschmacksnerven?

    Ganz liebe Grüsse

  6. Basler Dybli sagt:

    Vieles wurde schon geschrieben. MHD ist mindestens (ABER EBEN AUCH MEHR !) haltbar bis … EVD ist weniger in Anwendung und bedeuted – zumindest in der Schweiz – das Endverbrauchsdatum. Beides ist im Grunde genommen der gleiche Humbug, welchem nachgelebt wird und den gesunden Menschenverstand verkümmern lässt.
    Mit einem gesunden Geruchs- und Geschmackssinn, offenen Augen und dem wichtigen und notwendigen Wissen über die verwendeten Zutaten, die Herstellung und die empfohlene Lagerung der Lebensmittel (trocken, gekühlt/tiefgekühlt [jnkl. der Einhaltung der Kühlkette !], vor direktem Licht geschützt, etc.) lässt sich sicher und gut (auch finanziell) leben.
    Die Unwissenheit der Kunden/innen und die Hysterie betreffend MHD/EVD lassen gegen das „Schlussdatum“ die Preise purzeln. Eine Zeiterscheinung, die ich seit Jahren bewusst nutze und (wo möglich) mich mit leckeren und preisgünstigen Lebensmitteln versorge. Mein Tiefkühlschrank kann „ein Lied davon singen“. ;-)

  7. Wenn ich im Supermarkt einkaufe, steuere ich immerl die Abteilung an, wo die Produkte, die am selben Tag ablaufen, verbilligt abgegeben werden. Wär doch eine Schand, wenn die Sachen alle weggeschmissen werden. Dass ich dabei spare, ist ein netter Nebeneffekt. ;)

    • admin sagt:

      So mache ich es auch oft. Bei uns werden die Lebensmittel manchmal 2 Tage vor dem Ablaufdatum heruntergesetzt. Und nach Weihnachten decke ich mich mit preisreduzierten Konserven mit feinsten Inhalten ein. Steinpilze in Olivenöl im Glas halten nun mal länger als die aufgedruckten 3 Monate. Da frag ich mich dann, ob dass eine „Christmasspecial“ ist.

Schreibe einen Kommentar zu Eva Antworten abbrechen