Kinder zu Feinschmeckern erziehen

Pädagogen und Köche, die mit Kindern arbeiten, erzählen, das heute manche Kinder ein Radieschen nicht von einer Tomate unterscheiden können, von Familien, die nicht mal einen Tisch zu Hause haben, weil die Nahrungsaufnahme am Sofa erfolgt, vor dem Fernseher. Dann frage ich mich, wo führt das hin?

Es ist die Strategie der Nahrungsmittelindustrie, Mütter und Väter vom Herd weg zu bekommen und Kinder für teure, ungesunde Lebensmittel zu begeistern. Dabei nehmen diese Konzerne in Kauf, dass der Nebeneffekt dieser Ernährung die Kinder fett und krankmacht.

Indem wir die Kompetenz des Kochens an die Foodindustrie abgeben, die sich dieser profitablen Aufgabe gern und machtvoll widmet, kommt es nicht nur zu Ernährungsdefiziten, sondern dieser Kompetenzverlust ist ein Kulturverlust: Wer nicht kocht, hat keine Ahnung, was er eigentlich isst.

Es ist auch keine Lösung, diese Aufgabe an Kinderkrippen und Schulen auszulagern; das dürfte nur im Ausnahmefall geschehen. Der gemeinsame Esstisch daheim ist das Ideal. Aber es ist fast unmöglich, dem Sirenengesang der Nahrungsmittelindustrie zu widerstehen. Petra Schulze-Lohmann von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sagt unverblümt: «Werbung ist mächtiger als die Eltern.»

Aber es gibt ein wirksames Gegengift. Das heißt ganz einfach: „In der eigenen Küche kochen. Nur wer seine Kinder gut und gesund ernähren möchte, muss an vielen Fronten kämpfen.“

Erste Spaghettierfahrung mit allen Sinnen

Erste Spaghettierfahrung mit allen Sinnen


Geht doch mal mit Kindern auswärts essen. Auch die Gastronomie ist selten bereit daran mitzuwirken, Kinder auf dem Weg zu bewussten Essern zu begleiten. Fast überall begegnet uns die Tragödie des Micky-Maus-Schnitzels, dieser scheinbar so harmlosen Metapher für die Art und Weise, wie wir unsere Kinder ernähren. Das Micky-Maus-Schnitzel ist der kleinste gemeinsame Nenner, das Gericht, das beim Kind den geringsten Widerstand weckt. Gastronomen setzen das Micky-Maus-Schnitzel auf die Karte, um den Eltern, die sich „etwas Ernsthaftes“ aussuchen wollen, die Hand zu reichen, weil ihre Kinder dieses „Ernsthafte“ selbstverständlich nicht mögen, nicht essen, verabscheuen, ausspucken würden. Dabei übersehen sie, welches ungenutzte Potential ihrer zukünftigen Kunden unbeachtet bleibt.

Klarerweise tritt das Micky-Maus-Schnitzel in vielerlei Gestalt auf, als Pizza, als Spaghetti mit Tomatensauce, als Chicken Nuggets oder sonst welcher Kram, der die Gewohnheiten von Kindern nicht überstrapaziert – kaum ein Koch, der bereits einmal versucht hat, für Kinder etwas anderes zu kochen als nämliche Speisen, hat nicht in fassungslose Gesichter geschaut, in denen sich der Widerstand gegen den Teller mit den bunten Blättchen gerade formiert.

Andererseits lese ich von einem italienischen Spitzenkoch. Fulvio Pierangelini ist der beste Koch Italiens, sagen die einen; der kauzigste, sagen die anderen. Ich gehöre wohl zu jenen, die ihn für den kauzigsten halten. In der Online-Ausgabe vom 06. Juli 2014 der FAZ heißt es: „Als er noch sein Zwei-Sterne-Lokal „Gambero Rosso“ im toskanischen San Vincenzo hatte, soll Fulvio Pierangelini Gäste zur Rede gestellt haben, die für ihre Kinder Spaghetti al pomodoro orderten. Als wäre es ein Kinderessen! Dabei ist es ein heiliges Gericht! Zur Tomate muss man, bevor man sie verarbeitet, eine Liebesbeziehung aufbauen!“ Gleichzeitig schwärmt er vom Essen seiner Großmutter und Mutter, die seinen Geschmack geschult haben. Nun sag mir einer, was ist denn ein „Kinderessen“.

Aber es gibt eine Welt jenseits des Micky-Maus-Tellers? Ja, es gibt auch engagierte Gastronomen und Köche. Der Koch Sepp Schellhorn aus dem Salzburgischen, der sich beim Forum „Anständig essen“ engagiert, hat eine Liste von Forderungen formuliert:

Die Aufnahme des Fachs ‚Kochen und Ernährung’ in den Lehrplan aller Pflichtschulen.
Die Verpflegung von Kindergarten- und Schulkindern aus dafür eingerichteten Küchen mit frisch gekochten Lebensmitteln.
Die Abschaffung von Soft-Drink-Automaten in Schulen.
Das Verbot von Werbung von Fast-Food- und Soft-Drink-Unternehmen in Schulen, Lehrmitteln und Schülerbedarf.
Die Einrichtung von Schulgärten, Sensorik-Schulungen und Betriebsbesuchen bei landwirtschaftlichen Unternehmen für alle Schüler.
Ein Bekenntnis der Politik, das Thema ‚Kinderernährung’ im Schulalltag ernster zu nehmen und sich um die politischen Folgen zu kümmern.“

Auch im deutschen Einzelhandel gibt es inzwischen Bestrebungen, hier Verbesserungen einzuläuten. Wenn ich jetzt exemplarisch eine nenne, möchte ich erklärend darauf hinweisen, dass dies keine Promotion ist. Auf dem richtigen Weg, scheint mir die EDEKA Stiftung zu sein. Sie wendet sich mit den Projekten Gemüsebeete für Kids an Vorschulkinder und dem Projekt Mehr bewegen – besser essen an Grundschulkinder.

Die meisten der Erwachsenen haben eigene Erfahrungen aus der Kindheit. Manches, was sie heute mögen, hat ihnen als Kind nicht geschmeckt. Das wird sich nie ändern. Man kann Kinder leiten, aber nicht zwingen. Sie bilden sich ihren eigenen Geschmack, aber das geht nur, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt.

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9 Antworten zu Kinder zu Feinschmeckern erziehen

  1. WildeHenne sagt:

    Wie glücklich der Kleine seine Spaghetti anschaut! Hätte er auch so glücklich drein geschaut, wenn es Rosenkohl gewesen wäre? ;-)
    Ich bin auch der Meinung, dass Kinder in Restaurants nicht Ernst genommen werden. Klar bestellten meine auswärts auch gerne Pommes. Dies aber, weil es das zu Hause halt nur selten gab. Aber dass sie von einer sogenannten «Kinderkarte» bestellt hatten, das kam äusserst selten vor. Das Küken wollte sowieso immer nur das, was die Grossen auch hatten. Und sie hatte einen Hang zum Luxus, das kann ich Dir versichern. Sie war schon als kleiner Wicht ein Gourmet.

  2. Du hast wieder einmal meine volle Zustimmung! Und die Forderungen von Herrn Schellhorn kann ich auch unterstreichen.
    Eine Freundin von mir hat in einer Elternberatung gearbeitet, wo immer wieder auch Kochkurse angeboten wurden. Sie hat erzählt, dass so viele Menschen überhaupt keine Vorstellung haben, was man mit einer Karotte tun muss, um daraus Babybrei zu machen. Sehr traurig ist so etwas.

  3. Susanne sagt:

    Zustimmung!
    So leicht ist das zwar nicht, die Kinder zu Gourmets zu erziehen, aber ich bin mir sicher, irgendwann werden sie sich darüber freuen. Auch wenn das noch dauert. Und auch, wenn es nicht immer Spaß macht.
    Das mit dem Auslagern kenne ich gut. Die meisten Kinder hier werden ab dem Krippenalter mit Tiefkühlkost in den Betreuungseinrichtung großgezogen. Schauderhaft.

    • admin sagt:

      Mir ist es seit langem ein Anliegen, dass man beim Essen in öffentlichen Einrichtungen nicht auf den letzten Cent schaut. Das nicht irgendwo in einer Großküche ein Einheitsbrei zubereitet wird und dann kilometerweit transportiert in Krippe, Kindergärten, Schule und auch Krankenhäusern landet.
      Und wenn direkt gekocht wird, sollte das Personal geschult sein. Meine Söhne – das ist aber einige Jahre her – gingen in eine Schule mit Internat, die Mittags eine Mensa anbot. Da sparte man am Personal, frei nach dem Motto: „Eine gestandene Hausfrau kann das doch auch.“ Herauskam, dass die Vegetarier das Stück Fleisch oder die Wurst nicht bekamen, dafür aber die Sauce darüber gekippt. Dazu der Kommentar: „Ich weiß wohl, dass Vegetarier kein Fleisch essen und in der Sauce ist keines, stell dich nicht so an!“

  4. Eva sagt:

    Es gibt zum Glück auch immer wieder Gegenbeispiele. Mein Neffe aß schon mit 5 Jahren mit Messer und Gabel. Und zwar kein Mickey Maus schnitzel, sondern rohen Fisch und Salat. Meine Schwiegereltern (die zu diesem Essen im Lokal eingeladen hatten) schaute nicht schlecht erstaunt. Und andererseits mochte ich als Kind (tortz liebevoller Bekochung durch Urgroßmutter und Großmutter) Schnitzel, Pommes, Kroketten und Co. am allerliebsten. Gemüse lehnte ich aus Prinzip ab. Es hat dann zwar eine Weile gedauert, aber irgendwann entwickelte sich das Interesse am Kochen und am Genuss ganz von selbst.
    Ich weiß natürlich, was du meinst, aber es liegt nicht nur an der Industrie und den Eltern – ein weites Feld.
    Liebe Grüße,
    Eva

    • admin sagt:

      Gott sei Dank gibt es viele Gegenbeispiele. Meine beiden fielen durch ihre Vorlieben bereits in der Grundschule auf. Das gleiche erlebte ja auch die Wilde Henne mit ihrem Küken. Die musste der Lehrerin sogar erst einmal erklären, was Spaghetti Vongole sind.

  5. Houdini sagt:

    Voll in meinem Sinne, auch jede Forderung von diesem Koch Sepp.

    Ich denke/hoffe, wenn in der Familie gesund und gescheit gegessen und darüber auch geredet wird, die Kinder auch gescheit (überlegt, natürlich, gesund) essen werden. Klar mögen alle Pizza, Pasta, Pommes, ich eigentlich auch. Und es kommt in der besten Familie vor, dass ein Kind Gemüse einfach nicht essen will, eine Abneigung hat und sich weigert. Einer der Söhne isst heute noch ungern Gemüse, seine Frau leider auch.

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